von Heribert Hillenkamp Mai 1933
Als Martin Luther zur Abwehr des Ablassmissbrauchs am 31.10.1517 seine 95 Thesen an die Türe der Kirche zu Wittenberg anschlagen ließ und damit die Reformation einleitete, begannen auch die Auseinandersetzungen, sowohl der Kampf des Geistes, nicht minder aber auch die kriegerischen Reibungen allenthalben in Deutschland. Bann, Reichsacht, Reichstage, Gegenreformationen, Konzile, vereinbarte Religionsfrieden: Entwicklungen, die sich über die folgenden 100 Jahre hinzogen, konnten den Weg der neuen Lehre nicht aufhalten, die mehr und mehr Fuß fasste, bis es dann schließlich im Jahre 1618 zum 30jährigen Krieg kam.
Diese kurzen Andeutungen sollen mit einem Blick die bekannten Zeitverhältnisse vor Augen führen. Uns wird hier mehr interessieren, welche Rolle unser engeres Heimatland, das kurkölnische Herzogtum Westfalen, in jenen Zeitläufen spielte, und da ich mich auch hier weder berufen noch geschult fühle, Geschichte zu schreiben, soll nur zweckmäßig unserer Vorfahren gedacht werden, soweit sie an dem politischen und kulturellen Geschehen teilnahmen.
Da Dr. Bernard ab Hagen, der kurkölnische Kanzler, ab 1518 Dekan an der juristischen Fakultät in Köln war und das Amt des Siegelbewahrers inne hatte und sodann ab 1526 erzbischöflicher Kanzler und Vertrauter des Erzbischofs Hermann von Wied war, stand er mitten im Zeitgeschehen. Sein Leben war ein Kampf gegen die Reformation. Mit Josef Gropper aus Soest, dem späteren Kardinal, war er 1530, auf dem Reichstage zu Augsburg, 1540, in Hagenau (der Reichstag wurde wegen der Pest von Speyer nach Hagenau verlegt). Er scheute auch nicht, Stellung gegen den Erzbischof Hermann von Wied zu nehmen, als dieser sich der Reformation zuwandte. Anfangs war Hermann von Wied energischer Gegner der Reformation; im Jahre 1520 ließ er die Schriften Luther’s verbrennen und im Jahre 1529 zwei Verbreiter kirchenfeindlicher Schriften mit dem Tode bestrafen. Durch Peter Mettmann, Erzieher seiner Neffen, der Reformation zugeneigt, zog er den früheren Dominikaner Martin Bucer, den Reformator Straßburgs, an seinen Hof und verhandelte mit Philipp Melanchton über die Ausarbeitung einer Reformations-Ordnung.
Nach mehrfachen vergeblichen Einigungsversuchen veranlasste Bernard ab Hagen, dass Papst Paul III und Kaiser Karl V sich von dem abtrünnigen Erzbischof lossagten. Als Hermann von Wied am 25.2.1547, auf sein Amt verzichtet hatte, diente Bernard ab Hagen als Kanzler seinem Nachfolger, Erzbischof Adolf III von Schaumburg (1547-1556). Nach einem kampfreichen Leben starb Dr. Bernard ab Hagen am 3.10.1556 in Köln. Er liegt im Dom begraben.
Konrad Orth ab Hagen, der Neffe des Kanzlers, kam 1540, etwa 15 Jahre alt, zur Universität nach Köln und hat diese Stadt nur vorübergehend wieder verlassen. Er wurde am 21.8.1548 Dr. der Rechte, 1556 Dekan der juristischen Fakultät; 1570/71 Rektor der Universität. Bei der 1549 von dem Erzbischof Adolf III von Schaumburg zu Köln abgehaltenen Provinzsynode erwarb er sich anerkannte Verdienste um den Klerus der Erzdiözese. Er war ein erbitterter Gegner Gebhard Truchsess von Waldburg. Von Konrad Orth ab Hagen wird übermittelt, dass es seinem erleuchteten Verstande und seiner durchgreifenden Entschlossenheit gelang, der neuen Lehre gemessene Schranken aufzuerlegen und ihre Aufnahme zu verhindern.
Unter der Regierungszeit Adolf III am 22.12.1553 erhielt der Vater Kaspar’s, Friedrich von Fürstenberg, sein Patent als kurkölnischer Rat. In dieser Urkunde wird ihm jährlich 50 Taler zugesprochen und der Rentmeister zu Werl Wilhelmen Brandiß beauftragt, diese Summe auszuzahlen. Am 14.3.1556 wurde Friedrich von Fürstenberg mit der Verwaltung der Ämter Bilstein und Waldenburg betraut und mit der Amtsverwaltung von Fredeburg. Der Nachfolger Adolf’s III, Friedrich IV von Wied, erneuerte die Bestallung als Amtmann. Als Friedrich von Fürstenberg am 21. März 1567 starb, übernahm Kaspar von Fürstenberg die Ämter Bilstein, Waldenburg und Fredeburg. Der folgende Kurfürst, Salentin von Isenburg, erneuerte die Bestallung am 14.2.1570; Kaspar von Fürstenberg musste jedoch einen Teil seiner Einkünfte abtreten.
Schon 1568 wurde Kaspar von dem Kurfürsten Salentin von Isenburg zum Kreistag nach Münster gesandt und übernahm, nachdem er am 4.8.1570 zum kurkölnischen Rat ernannt, eine Gesandtschaft zum Reichstage zu Speyer.
Im Februar 1572 reiste er im Auftrage Salentins zur Regelung von Grenzstreitigkeiten durch „eine geschwinde vüstigliche Kelte und tiefen schne“ und kam nach 2 Reisetagen am 23.2. in Marburg beim Landgrafen Ludwig IV an. Kaspar schreibt in seinem Tagebuche: „25.2.1572: Auf erfurderung des Lantgrafen auf das schloß gangen, haben Ihre F.Gn. mir sampt der Fürstinnen den gantzen tagh biß zu halber nacht mit drinken, spielen und sunsten vill ehr erzeigt. 26.2.1572: dißen morgen wie ich vom schloß widderkhommen, druf ich die nacht über gelegen, bin ich bei dem hofrichter widderumb zur suppen berufen. Und ist die Supp dermaßen stark gewesen, daß ich noch den tagh verharret. 27.2.1572: Dem hofrichter zur bezalung des wirdts in meiner Herbergh zum grünen baum 8 Daler abgelehnt, dan die Fürstin hatt mir vill gelts abgewunnen.“ Am 28.2. spät abends ist er wieder in Bilstein: „Auf dißer reise verzert und verspilt XXXII Daler“.
Im April war er wieder in Marburg. Nach Erledigung der Geschäfte am 25. April 1572 heißt es: „Des morgens unsern abschiedt bei der Cantzlei verfertigen laßen. Des Mittags bei dem Fürsten geßen und voll tractirt. Nachmittags gespielt, des abents und geschwindt vollgesoffen. Der Fürst hatt wedder gehen noch stehen khönnen.“
In den Zeiten vor dem 30jährigen Kriege wurde übermäßig getrunken. Besonders an den Höfen. Es heißt in der Geschichte, dass selbst am kaiserlichen Hofe die Regierungsgeschäfte nicht erledigt werden konnten, weil die Räte schon in den frühen Morgenstunden betrunken waren. Beim Frühstück = „Supp“ wird schon stark getrunken; es zieht sich oft über den ganzen Tag bis in die Nacht hin „Suppenkrieg“. Einsichtige Fürsten und auch die Geistlichkeit suchte gegen dieses Laster einzuschreiten: „Wider den Saufteufel!“ Kaspar von Fürstenberg scheinen diese Gelage manchmal zuwider gewesen zu sein, denn einmal schreibt er: „Phui des sauffens!“ und ein andermal: „Ich wollt, daß ihn der teuffel hette, der erst das saufen machen thette.“
1576 war Kaspar als Gesandter des Kurfürsten Salentin auf dem Reichstage in Regensburg, auf dem die Protestanten freie Religionsausübungen in den Gebieten der katholischen Fürsten forderten, während entgegengesetzt, gegen die Bestimmungen des Religionsfriedens von 1555, den Katholiken in den protestantischen Ländern Kirchen, Klöster und ganze Bistümer mit Gewalt entrissen wurden. Der Kaiser Maximilian II starb dort am 12.10. 1576. Man sagte, aus Kummer über die vergeblichen Anstrengungen der Versöhnung. Sein Nachfolger war Rudolf II.
Salentin von Isenburg legte in Brühl in feierlicher Weise am 13.September 1577 das Erzbistum und Kurfürstentum Köln nieder, da er als letzter seines Stammes zur Erhaltung seines Geschlechts, eine Ehe einzugehen beabsichtigte. Er verheiratete sich bald darauf mit Antonia Wilhelmina von Arenberg. Kaspar von Fürstenberg blieb mit ihm auch späterhin in Verbindung, wie auch Salentin an den Geschicken Kurkölns weiterhin Anteil nahm.
An Salentins Stelle wurde am 5. Dezember 1577 der als bescheiden, klug und fromm geachtete Gebhard Truchsess von Waldburg gewählt. Unter den Zeugen, die für seine Frömmigkeit, Redlichkeit und Zuverlässigkeit einstanden, befand sich auch der Domherr Konrad Orth ab Hagen.
Der neue Kurfürst nahm zu Arnsberg am 14.12.1578 Kaspar von Fürstenberg zum Rat an, das Amt, was er auch vorher bereits bekleidete. Von ihm wird Kaspar 1580, im August zum Reichstag nach Nürnberg gesandt, der aber bei seiner Ankunft abgeschrieben wurde. Fürstenberg, aus der gewohnten regen Tätigkeit zum Nichtstun gezwungen, machte in Nürnberg lateinische Verse. In deutscher Übersetzung heißt der Schluss:
„Und so sitzen wir müßig allhier in Nürnbergs Mauern. Unbenutzt schleicht die Zeit, Stunde um Stunde dahin. Was bleibt übrig? Wir eilen zu frohen bacchischen Festen Lassen umgeh’n das Gelag, trinken bald hier und bald dort. Weil nichts besser’s zu tun sich beut, ist’s immer noch etwas Froh mit dem fröhlichen Gast leeren den vollen Pokal“.
Kaspar von Fürstenberg, dessen Bruder später Fürstbischof von Paderborn wurde, hat stets fest zum katholischen Glauben gehalten. Sein Lehrer, der spätere Rektor Fridericus Burhusius, Dortmund, der neuen Lehre zugeneigt, konnte trotz mehrfacher Versuche keinen Einfluss in religiöser Hinsicht ausüben. Dessen ungeachtet haben sie sich doch ganz gut verstanden: „2.3.1581: Fridericus Burhusius dedecirt mir ein buch. Deweil aber verdächtige disputationes darin geflickt, schrieb ich ihm er mögs einem andern dediciren.“ 1566, als 21jähriger junger Mann wurde ihm vom reformierten Kurfürsten von der Pfalz eine Assessorenstelle angeboten, wenn er der katholischen Religion entsage. Er lehnte ab. Das besagt aber nicht, dass er den Reformierten feindlich gesinnt gewesen ist. Die Erbitterung kann in den Zeiten vor dem 30jährigen Kriege nicht groß gewesen sein. Fürstenberg störte das religiöse Bekenntnis seiner vielen reformierten Verwandten nicht, mit denen er sich in bestem Einvernehmen befand. Wohl machte ihm das eheliche Verhältnis seiner Tochter Goda mit Bernhard von Heiden zu Bruch einigen Kummer, weniger des calvinischen Bekenntnisses wegen, das seine Tochter wohl annehmen musste, als mehr durch die Zwistigkeiten, die eben durch die Religion unter den Eheleuten entstanden waren. Deshalb spricht Kaspar von Fürstenberg sich in seinem Testamente wohl gegen die gemischten Ehen aus.
Selbst Konrad Orth ab Hagen, der eifrige Verfechter des alten Glaubens, hatte zwei seiner Nichten, Töchter seines Bruders Gerhard (siehe Tafel) protestantisch verheiratet, Gertrud Orth mit Johann Grote zur Talle aus Lemgo, von dem noch zu hören sein wird, ferner Ursula mit dem Bürgermeister Johann Flörcken aus Lemgo.
Die Reformation, aus den Missständen der Kirche geboren, fast zwangsläufig entstanden, war bald keine ideale Angelegenheit mehr. Es darf nicht vergessen werden, dass – damals wie heute – die Geld- und Machtfrage wohl doch die größte Rolle spielte und viele sich der idealen Sache zuwandten, weil sie hofften, wirtschaftlich besser abzuschneiden. Heiratslustige Geistliche und Nonnen, unzufriedene Bürger nutzten die Freiheit für ihre persönlichen Zwecke unter Vorschub des Ideals aus. Die Bauern, Bürger, das platte Land, zu allen Zeiten immer die Leidtragenden, wurden schwerlich gefragt, was sie sein wollten; war es damals doch Brauch bei Katholiken und Protestanten, dass die Untertanen die Religion des Landesfürsten haben mussten oder des Landes verwiesen wurden. Sie mussten nur mitmachen, wie ihre Herren wünschten, trugen das größte Leid und waren bei kriegerischen Verwicklungen der Willkür des Feindes ausgeliefert, während die Herren noch in ihren Burgen gesichert waren. Selbst beim Westfälischen Frieden, Münster 1648, wird den Landes Fürsten zugebilligt, die Religion ihrer Untertanen zu bestimmen; sie andernfalls nach einer gewissen Frist des Landes zu verweisen. Die Unterschiede der Religionen wirkten sich für das platte Land in der ersten Zeit auch nur geringfügig aus. Für den Laien bestand die Reformation vielfach nur darin, dass die alten Bräuche beibehalten wurden, dass die deutsche Sprache die lateinische bei den Kirchengesängen verdrängte und das Abendmahl unter zweierlei Gestalt eingenommen wurde.
Verfasst von Heribert Hillenkamp 1933