Als ich während der Kriegszeit einige Tage meines Urlaubes bei meinen Tanten verbrachte, ihnen von den Kämpfen in Galizien und am Dunajec erzählte, da sagte Tante Cornelia: „Weißt Du, dass dort unten auch der Soldatenhauptmann Nolten gewesen ist?“
Da mir das böhmische Dörfer waren und ich den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: „Der Hauptmann Caspar Nolten ist der Bruder Deiner Urgrossmutter. Er ist damals in österreichische Dienste getreten und war Hauptmann des österreichischen K.u.K. Fürst-de-Lingne-Infanterieregiment. An seiner Heimat Geseke hat er gehangen, das liest man aus den Briefen. Er hat nämlich eine Menge interessanter Briefe geschrieben von 1803 bis 1827. Als er die Briefe schrieb, muss er mit seinen Gedanken in der Heimat geweilt haben, denn weit entfernt in einem fremden Land schreibend, schildert er manchmal, was nun die einzelnen zu gleicher Zeit wohl in der Heimat tun würden. Er hat sehr interessant über Volk und Sitten geschrieben. Ich musste oft daran denken, als ich Deine Briefe las; es ist, als hätte sich dort kaum etwas verändert. Ich werde die Briefe herauslegen, Du musst sie mal lesen, sie werden Dich sicherlich interessieren.“
So saß ich denn eines Nachmittags, studierte und entzifferte die Briefe, die der Hauptmann Nolten aus der Zeit der Befreiungskriege von Lemberg, Leipzig und Frankreich aussandte.
Als ich danach in den Abendstunden nachdenklich einen Spaziergang über die Promenade machte, da kam mir drückend zum Bewusstsein, was gerade ich doch für ein kleines, kümmerliches Menschlein sei.
Meine Vorfahren und ihre Sippe waren hoch angesehene Leute. Bürgermeister, Gutsbesitzer und was bin ich? Es machte sich eine Unzufriedenheit in mir breit, die dadurch nicht gemindert wurde, dass man mir hier in Geseke besonders achtungsvoll entgegenkam. Ob Bauersmann oder Handwerker, all die alten in Geseke ansässigen Leute kannten die Familie Hillenkamp und sprachen mit Achtung von meinem Großvater.
Etwas von dem Ansehen meiner Vorfahren durfte ich übernehmen. Man behandelte mich achtungsvoller, als ich es in meiner Heimat gewöhnt war. Ich wusste, es geschieht nicht meinetwegen, sondern in Erinnerung an meine Ahnen. Das machte mir wenig Freude. Ich bedauerte und bezweifelte zugleich, dass man mir in meiner Heimat nie diese Achtung entgegenbringen würde, weil ich dort ein Nichts, nur ein kleines Rädchen war.
Da ich zu jener Zeit Glück und Ansehen der Person fast vollständig mit dem Besitz einer Menge Geldes auf einer Stufe stellte, so kam mir damals weniger der Gedanke, dass es nicht nur der Besitz allein sein konnte, sondern auch hervorragende Charaktereigenschaften sein müssten, die zu Achtung zwangen.
Doch gab es hernach ebensoviel erhebende Stunden, wenn ich, was meist in den Stunden nach dem Mittagessen bis zum Kaffee war, im Vorgarten grübelnd saß.
Es stellte sich ein Stolz ein, solch achtenswerte Vorfahren zu haben. Und wenn sie Männer waren — Männer im Sinne des Wortes,— warum sollte ich es nicht auch werden.
Tante Agnes sagte auch, dass Tante Fernande die Wappen dem Heimatmuseum einstweilen leihweise überlassen wolle. Wir erörterten, dass es eigentlich das Angebrachteste sei, weil hierdurch später jeder Hillenkamp die Wappen im Museum sehen kann. Zugleich sprachen wir auch von dem Heiligenhäuschen, das bei den Tanten im Flur hängt. Es ist ein sehr altes Stück. Der Großvater erzählte, das sagte Tante Agnes, dass er, solange er sich erinnern könne, dieses Heiligenhäuschen in der Familie gewesen sei. Im Übrigen seien die Leute damals weniger bedacht gewesen wie jetzt ,etwas zu erhalten. So hätte der Großvater mit seinem Bruder aus der Rumpelkammer, wie er erzählt hatte, Ölgemälde geholt, sie aufgestellt und mit dem Flitzebogen darauf geschossen, er und sein Bruder, wer am besten die Augen oder das Herz träfe. Auch ist z.B. das ganze Zinngeschirr körbeweise an den Althändler verkauft worden, weil der Gebrauch des Porzellans sich immer mehr verbreitete und das Zinngerät dadurch überflüssig wurde. Der Großvater hat mancherlei alte Dinge, so eine silberbeschlagene sehr alte Bibel mit feinen Ziselierungen in Schweinsleder gebunden an einen Trödler verkauft, der sie nur des Silberbeschlags wegen gekauft und an Ort und Stelle das Silber abriss.
Mimmi meine Cousine erzählte mir, dass sie gleich mir, auch nicht gern nach Jehn’s gegangen sei. Auch sie habe viel in ihrer Jugendzeit in Geseke geweilt und hatte Geseke sehr gerne. Ihr Vater, Onkel Heinrich, sei ein geschickter Mann gewesen, der sich sehr um seine Familie gekümmert habe. Besonders aufmerksam sei er gewesen, als 1911 Anneliese (ihre Tochter) geboren sei. Er sei von Hause (Hagen) auf acht Tage nach Remscheid gekommen und habe dort ein Sommerdach im Garten gebaut für die kleine Anneliese. Gleich mir interessierte sie sich für die Familiengeschichte. Wir sahen uns zusammen mit Cornelia die plastische Nachbildung von Geseke (1600) im Museum an, suchten unser altes Stammhaus und fanden beim Rundgang im andern Zimmer zwei Handschreiben des Altreichskanzlers von Bismarck an Dr. Carl Jehn hinter Glas eingerahmt. Ins Zimmer der Tanten zurückgekehrt, besehen wir gemeinsam die alten Silhouetten der Sperling, die von Bieritz stammen. Auch ein altes Bildchen, das schon von Urvaterzeiten als Zimmerschmuck diente. Ein Junge macht vor dem Waschtrog ein jämmerliches Gesicht, weil die Mutter ihn waschen will.
17.6.1933
Von dem Gedanken geleitet, mehr über die Familie zu hören, zumal doch damit zu rechnen ist, dass die wenigen Verwandten in Geseke, über kurz oder lang, weil sie bereits alt sind, sterben werden, entschloss ich mich, etwas länger in Geseke zu bleiben, um möglichst eingehend und ausführlich zu hören.
Bei wenig gutem Wetter; es regnete, um eine halbe Stunde später der Sonne Platz zu machen, ein richtiges Aprilwetter, kam ich abends in Geseke an. Es stand gerade alles in üppigem Grün. Die Kastanienbäume des Walles, der Hagen und der Garten der Tanten, war alles mit saftigem Grün bedeckt, sodass man das Haus der Tanten, obgleich es nur wenig vom Wall entfernt liegt, durch die Bäume und Büsche kaum sehen konnte. Vom Hexenturm aus, wo der Garten der Tanten beginnt, war auch nicht ein Ziegelstein zu sehen, das ganze Haus war bedeckt von den davor stehenden Bäumen und Büschen.
Die Tanten freuten sich über meine Ankunft. Ich stellte die Koffer im Flur seitlich nieder und wir unterhielten uns einen Augenblick im Flur stehend. Tante Cornelia sieht trotz ihres Alters noch recht gut aus. Sie ist freilich von Gicht geplagt, die Hände durch Gichtknoten entstellt und kann sich auch schlecht vorwärts bewegen, doch ist sie geistig noch sehr regsam. Tante Agnes, obgleich 10 Jahre jünger, sieht eigentlich älter aus, als sie ist; sie hat zuviel Arbeit, denn ihr liegen alle Obliegenheiten des Haushalts und des Gartens ob, muss zum Kaufmann und Fleischer gehen und ist dadurch den ganzen Tag über sehr beschäftigt.
Ich höre, dass Mimmi, Tochter von Onkel Heinrich bei Tante Fernande oben zu Besuch weilt. Mimmi ist mit dem Musikdirektor Alfred Melchers in Remscheid verheiratet, dass ferner auch Cornelia, die Tochter Fernande’s mit ihren Jungen zu Besuch weilt (Rudolf und Werner).
Da es Zeit zum Abendbrot war, setzten wir uns bald zu Tisch dabei unsere Gespräche fortsetzend. Daran anschließend ging ich eine Etage hinauf, um die Tante und die Cousinen wie auch die Kinder zu begrüßen.
Tante Fernande mit ihren 76 Jahren sieht noch recht gut aus. Sie hat ein zierliches feines Gesichtchen und weiß bedächtig in guten Ausdrucksformen und anschaulich zu erzählen. Sie sieht übrigens noch so gut, dass sie selbst die kleinste Schrift ohne Brille zu lesen im Stande ist. Cousine Cornelia, die Mitte der 40 ist, fand ich, da ich sie sehr lange nicht gesehen, ziemlich gealtert. Cousine Mimmi und ich begrüßten uns freundlich bei unserm Namen. Es hat nicht den Eindruck, als ob wir uns zum ersten Male sähen. Sie ist eine mittelgroße Frau von guter Figur, vollschlank, mit frischem Gesicht, dem man gut ansieht, dass sie früher sehr hübsch gewesen sein muss. Ihr gut gepflegtes Haar ist freilich silbern, doch wirkt es frappierend, wenn man hört, dass diese Frau, die 54 Jahre alt ist und wirklich gut aussieht, bereits einen 32 Jahre alten Sohn hat und fünf mal Großmutter ist.
Wir unterhalten uns, nachdem wir uns bei Tante Fernande um das Sofa gruppiert haben, über die Familie. Die beiden älteren Damen haben dabei eine Decke zum Schutze gegen die kühle Abendluft auf ihren Schoss gelegt und über die Beine ausgebreitet.
Mimmis Sohn hat in eine kleine Fabrik eingeheiratet, die z.Zt. noch ca. 20 Arbeiter beschäftigt. Er ist geboren am 2.11.1902 und hat zwei Kinder, Christel geboren 15.12.1927, Ulrike geb. 7.3.1931. Ihre Tochter Lizzi ist mit dem Sohn Fritz des Kommerzienrats Korf verheiratet und hat drei Kinder, Ingeborg, Gabriele und Ursula. Lizzi ist mit ihrem Mann, der für seinen Vater in Südamerika tätig war und dort die Geschäfte leitete, viel in der Welt herumgekommen. In Mexico führen sie ein großes Haus. Es war ein ehemaliges Sanatorium in dem sie wohnten, das auf einem Hügel nahe der Stadt gelegen ist. Sie hatten jeder, Lizzi und auch ihr Mann ein eigenes Auto. Bis zu dem Augenblick, wo die Verhältnisse des jungen und alten Korf schlechter wurden und seine Finanzen, die auf mehrere Millionen geschätzt wurden, ziemlich schnell heruntergingen, führte Lizzi und ihr Mann weite Reisen aus. Sie waren sowohl in Nord-Amerika, als auch in fast allen Staaten Süd-Amerikas. Mehrfach zurückgekehrt nach Europa, bereisten sie Italien, Frankreich und Spanien, sie kannten die halbe Welt. Auf ihren Reisen machten sie vom Zug oder vom Auto aus und auch so bei passenden Gelegenheiten Filmaufnahmen, sodass in Remscheid die Angehörigen ihren Fahrten über die Anden nach Chile folgen konnten. Interessant war es zu hören, dass eine Fahrt von Buenos Aires mit dem Schiff über Cap Horn nicht teurer ist, als die dreitägige Fahrt über die Anden nach Chile. Die Bahn ist von den Engländern gebaut, liegt alljährlich fast ein halbes Jahr still und überall sind Trupps von Arbeitern stationiert, die an der Strecke immer wieder die notwendigen Reparaturarbeiten vornehmen.
Zur Zeit ist die junge Familie Korf in Remscheid. Nach Eintritt besserer Verhältnisse wollen sie wieder ins Ausland. Einen Versuch machten sie bereits einmal in den letzten Jahren. Sie haben hierbei, so sagt Mimmi, ein Kapital von RM 50,000.- verloren.
Ihr zweiter Sohn Alex geboren 18.7.1903 ist Graphiker, doch zur Zeit ohne Arbeit. Dann hat sie noch ein weiteres Mädchen Anneliese, das ich 1923, als sie ein kleines Mädchen von 11 Jahren war, in Geseke kennen lernte. Nun ist sie aber bereits über 20 Jahre, soll ein hübsches Mädchen sein und hat ihre Prüfung als technische Lehrerin bereits bestanden.
Von den Geschwistern Mimmis lebt Paul Hillenkamp in Remscheid. Er ist verheiratet mit Betty Röhrig. Lange Jahre ist er im Ausland, besonders in Kanada gewesen und nun Fabrikant. Er hat ein Töchterchen Gertrud, welches am 27.10.1915 geboren wurde.
Martha, die mit Josef Bräutigam verheiratet ist, lebt in Rio de Janeiro. Von ihren drei Kindern hat sich Mathina jetzt verheiratet, Lilli ist verlobt mit einem Freiherrn von Zietzewitz und wird demnächst heiraten. Franz Josef, der einzige Junge, arbeitet im Geschäft seines Vaters, der mit deutschen Artikeln der Industrie und auch wohl mit Autos handelt. Die Familie wohnt im herrlichen Rio auf einem der umliegenden Berge, die von den Europäern wegen des gesunderen Klimas bevorzugt werden.
Eine weitere Tochter von Onkel Heinrich, Hedwig, die mit dem Zahnarzt Zimmermann verheiratet war, lebt nach dem Tode ihres Mannes in bescheidenen Verhältnissen in Münster, Dahlweg 84. Das älteste Mädchen, Hedwig, hat nach Besuch der Töchter- und Handelsschule eine kleine Anstellung gefunden. Sie ist jetzt etwa 18 Jahre alt. Das zweite Mädchen Adelheit geht noch zur Schule. Die beiden Jungen Fritz und Ernst sind in einer klösterlichen katholischen Erziehungsanstalt untergebracht, sodass sie wahrscheinlich Geistliche werden, obgleich die Mutter und die Schwestern evangelisch geworden sind.
Ein Bruder Mimmis, Max Hillenkamp ging in jungen Jahren zur See. Er hat die harte Schule des Seemannes vom Schiffsjungen an mitgemacht. Er war Offizier bei der Handelsmarine. Im Kriege bei der Marine wurde er Offizier. Er machte die Skagerrakschlacht mit, war nach dem Kriege in der Brigade Ehrhard und mit dieser im Ruhrgebiet zur Niederdrückung der Unruhen. Da er in seinem Beruf keine Anstellung fand, war er später in Hamburg als Dolmetscher im Freihafen tätig. Seine Frau, denn er hatte sich in der Zwischenzeit verheiratet, betrieb eine Zeitlang ein Zigarrengeschäft. Durch die wirtschaftlichen Verhältnisse wurde Max später arbeitslos. Zur Zeit weis Mimmi, seine Schwester, nicht, wo er steckt, denn in Hamburg ist er nicht mehr gemeldet. Es ist wahrscheinlich, dass er mit seiner Familie nach Süd-Amerika auswanderte. Aus seiner Ehe gingen bisher 3 Kinder hervor.
Durch das Erzählen ging der Lebensweg der einzelnen Kinder von Onkel Heinrich, der in Hagen bei der Speditionsfirma Kinkel Geschäftsführer war und im Jahre 1912 starb, an unserm geistigen Auge vorüber.
In den Abendstunden machten wir einen Bummel durch die Stadt, gingen am alten Haus vorbei und tauschten unsere Gedanken aus.
18.Juni 1933
Heute, Sonntag gehe ich mit Rudolf, dem ältesten Jungen von Cornelia aus, um einige Photographien zu machen. Wir besuchen das Heimatmuseum, wo ich einige Aufnahmen von den Handschreiben etc. mache.
Gegen 11 Uhr besuchen Mimmi und ich auch den Onkel Rudolf. Seine Frau saß wie ein Gespenst hinter der Tür und gab auf unser Klopfen keine Antwort. Als das Mädchen uns hereinließ, war sie überrascht, entschuldigte sich wegen der vielen Bettler, die unaufhörlich vorbeikämen und packte schnell ihr Wäschestück, an dem sie gearbeitet hatte, weg. Der Onkel lag noch im Bett. Wir setzten uns dazu und unterhielten uns. Im Verhältnis zu den andern sieht der Onkel noch blendend aus. Er erwähnte, wie er jetzt durch Zufall doch noch einen Nachkommen der Nolten in Passau gefunden habe. Er hätte ihm, der Staatsanwalt ist, einen acht Seiten langen Brief gesandt und ihm über die Familie Nolten berichtet. Eine Antwort war noch nicht eingegangen. Das habe ich bedauert, denn ich interessierte mich sehr dafür. Ich versprach, nachmittags den Onkel wieder zu besuchen.
Da jedoch die Tanten sowohl Mimmi als auch Tante Fernande zum Kaffee eingeladen hatten, so musste ich einstweilen dort bleiben. Hier kam die Rede auch auf die Nolten, die in Dortmund gelebt hatten. Die Tante Agnes kramte in ihren alten Sachen und brachte zwei Bilder mit, auf denen die Töchter des Sanitätsrats Nolten aus Dortmund fotographiert waren. Es war Julia, die sich mit dem Hauptmann Schmelzer verheiratet hatte und Nachtigall von Dortmund genannt wurde, weil sie so gut sang, in einem der damaligen Zeit angepassten Kleid. Das andere Bild zeigte die andere Tochter, die ledig in Dortmund blieb, jedoch öfter mit ihrer Freundin einer Französin, Tripponier, nach Geseke zu Besuch kam.
Das Zimmer der Tanten
Altes Zinngerät, Schüssel und Kännchen, alte Erinnerungsbilder der Verwandten, Bilder der Sperling. Ein Gemälde. Eine Waldlandschaft von Mimmi und einige Teller, die auf grünem Grund mit Rosen bemalt waren, ebenfalls von Mimmi.
Der Onkel bedauert besonders, dass das alte Ritterschwert, welches die Mutter (Großmutter) erbte, verloren gegangen sei. Es sei ein kurzes Schwert gewesen mit einem überzogenen Griff und zwei Haltestäben ohne Korb, wie man es öfter noch auf Abbildungen aus der Ritterzeit sieht. In dem Schwert sei die Jahreszahl 1363 oder auch 68 eingelassen worden. Er könne sich irren in den Jahren, doch wisse er noch bestimmt, dass es in den 6oer Jahren von 1300 gewesen sei. Der Onkel Nono (Norbert Henze) habe es einmal
mitgenommen und seit dieser Zeit sei es verschwunden. Es sei möglich, sogar wahrscheinlich, dass der Onkel Nono es verkauft habe. Vielleicht sei es im Altertumsmuseum, vollständig verschwunden könne es schließlich nicht sein.
Die Tante Cornelia erzählt ähnlich, doch ergänzt sie dazu, dass auch ein Leibriemen mit einem schwer silbernen Schloss und Verzierungen dazugehört habe, welcher schon vorher verloren gewesen sei. Da die Großmutter es von ihrem Vater dem Fürstlichen Forstherrn Muder übernommen habe und die Familie Muder seit vielen Generationen in Diensten gestanden haben, dass einer der Vorfahren es von seinem Herrn für besondere Verdienste bekommen habe.
Das Bild im Zimmer der Tanten (Brustbild in Lebensgröße) stellt den Kaiser Ferdinand den II von Österreich dar, der den westf. Frieden in Münster unterzeichnete. Das Original befindet sich im Rathaus zu Münster, soll jedoch in der Ausführung, wie von Kennern beurteilt wurde, noch besser sein. Schwarzes, halblanges Haar, längliches Gesicht, Spitzbart und Schnurbart. Er trägt Rüstung, von Schulter zu Schulter eine goldene Kette mit Edelsteinen verziert.
Die beiden andern ebenfalls brustgroßen Bilder stellen möglicherweise Äbte vor. Einer hat krauses, schwarzes Haar, welches an der Schulter beschnitten, ein kurzes Schnurbärtchen, volle Lippen und gesunde rote Wangen. Der Hals war bedeckt mit einem Kragen von dem zwei kurze Tuchstreifen herabhingen (Ähnlichkeit mit einem evangelischen Geistlichen) Sie trugen einen Umhang oder Mantel an dessen äußerem Ausschnitt ein Kreuz hängt. Der rechte hatte ein längliches Gesicht.
Zwei kleine Bilder
Das eine gleicht viel dem Kaiser Ferdinand, doch ist das Gesicht etwas voller. Das andere ist ein Charakterkopf. Ein Mann mit faltenreichem Gesicht, gebogener Nase, trägt auf seinem Kopf blondes, kurzes Haar, das eine hohe Stirn freigibt. Unter der weißen Halskrause sieht man einen schwarzen oder samtenen Wams, doch sind die Arme aus braunem Stoff. Hendrik van Bahlen
Notiz in einem Brief von Hauptmann Casper W. von Nolten an seinen Schwager Bernard Hillenkamp:
Goode Nowend Beernd!
Telle wohl. Dreiundattig Krondahler. Over nit for Dei. Du lötst de Krondahlers doch man in de Kasten verschiemeln. What säste damit doun? Dat süste unner mine drei Süsters verteilen. Bettken, Dinne Frugge, Mariefränsken und Thersken. Jedem ten Stück. Dat sind dertig. Blived drei öwrig. What soll domit geschein? Dafür soll Bettken minnem Pahn Rudolf nogge einkleiden, und vor dat wat üwirg bliwet, soll se dem Jungen eine Trummel kaufen. Dei soll Soldate werden. Un soll sich nun all an kriegerische Geräusche gewöhnen. Wenn mei Gott dat Leiwen löt, un ich nuer wierkumme, de Jung is so weit, dann nehm ich ihn mit.
Die Großmutter, Maria Hillenkamp, geb. Muder, lebte als 17 -18 jährige in der Pension von Frl. Költchen (1846) in Münster. Sie war Waise.
Eine Gabe bringen wir bedeutungsreich,
Dich hochgeliebte Braut zu schmücken!
Sieh hier, die Myrthe zart und weich
an die mit ahnungsreichen Blicken
die Jungfrau schon im Flügelkleide
der Hoffnung goldne Träume weckt.
Oh nimm ihn aus der Freundinnen Hand
Es ist der Jungfrau schönste Krone
Das Diadem, das Dir zum Lohne
die liebe und die Tugend wand
Oh, lass uns singend in das blonde Haar
die reinen Silberblüthen winden.
Damit sie Dir am Traualtar
das schönste Lebensglück verkünden.
Kranz, Myrthe, getrocknet mit kleinen weißen künstlichen Blümchen, ganz braun.
Maria Muder, geb. 22.2.1829.
Zur Verlobung 2.2.1848, Lichtmessball
verheiratet im August 1848
An mein liebes Mariechen!
Achtzehn Jahr ruht ich fast
wohl bewahrt von Schwesterhand
komme heute, Dich zu schaun
an der Seite Hillenkamp’s.
Zeuge war ich Deiner Lust
Dienstbar jedem Deiner Tritt‘
Gab zuerst zum Stehn Dir Muth
Und zum Laufen dann die Kraft
Gib daher das Gnadenbrot,
Mir, bis ich einst wiederkomme
Und der Lenze fünf mal zehn
Dich zufrieden leben sah.
Dein erster Schuh.
P.S. mit meinem Bruder ist Flötchen und
Pfeifchen durchgegangen.
Anmerkung: Das Schühchen war aufbewahrt und die Freundinnen haben es zum Polterabend der Maria, meiner Mutter, überreicht. Sie lassen den Schuh in dem Gedichtchen sprechen. Flötchen und Pfeifchen waren die Hunde des Großvaters, der Oberförster war, und sie sollen den fehlenden Schuh verschleppt haben, wie Hunde oft tun.
Cornelia.
Bevor ich im Juni 1933 nach Geseke fuhr, hatte ich den Tanten geschrieben, sie möchten einmal nachsehen, was sie an Schriftstücken vorliegen haben und an Briefen, da ich die Geschichte der Hillenkamp weiter ausbauen wollte.
Maßgebend für diese Sachen ist Tante Cornelia. Sie legte ein paar Kriegsbriefe zurecht, ließ auch einen Kasten mit Photographien durch Tante Agnes herbeiholen. Ich hätte unter den Photographien, die einen halben Pappkarton ausfüllten, mancherlei gefunden, was ich gerne mitgenommen hätte, was der Illustration der Familiengeschichte dienlicher gewesen wäre, als dort im Kasten zu „schimmeln“. Sie gab mir auch einige Bilder. Ich selbst suchte bescheiden noch weitere drei aus, die ich dann schließlich nach Hängen und Würgen in meinen Besitz nehmen konnte, weil sie die Tante nicht herausrücken wollte.
Sie brachte ein kleines schweinsledern gebundenes Gebetbuch hervor, das der Vater des Hauptmann Nolten um 1760 herum abgeschrieben hatte. Er war Notar und Bürgermeister und hatte eine schöne klare Schrift. Im Anhang waren einige Daten verzeichnet auch über seinen Tod, von anderer Hand geschrieben, der 1804 oder 6 erfolgte. Alsdann war die Marschroute von Prag bis Frankfurt angegeben. Möglich, dass der Hauptmann Nolten dieses Gebetbuch von seinem Vater mitbekommen hatte, als er in die Fremde zog, möglich auch, dass ein anderer Nolten oder der Vater des Hauptmanns selbst, wie es üblich war, eine Zeitlang beim österreichischen Heere diente. Ich habe mir hieraus keine Notizen gemacht, sodass die Angaben aus dem Gedächtnis ungenau sind. Ich rechnete nämlich damit, dass die Tante meinem Wunsche entsprechend, mir das Buch zur Durchsicht leihen würde, doch hat sie es leider nach einigen Tagen wieder weggesteckt. Ein nochmaliges Fragen danach ist zwecklos.
Auch brachte sie meinem Wunsche entsprechend einen Pack Papiere herbei, einige Testamente von dem Urgroßvater Bernard Hillenkamp und meinem Großvater Rudolf, Briefe des Onkels meiner Großmutter des Auktionators oder Notars Henze in Salzkotten, in welchem er meine Großmutter, die kaum 18 jährig zur Zeit in Münster in Pension weilte, an ihre Gewissenspflichten unter frommen Worten daran erinnert, dass sie ihre Erbschaftsregelung so vornehmen soll, dass auch ihre Stiefschwestern einen Batzen abbekommen. Die Beeinflussung, die aus diesem Briefe unter frommen Worten begann, hat ihren Einfluss auch in dem gewünschten Sinne ausgeübt, wie mir die Tante Cornelia sagte.
Außerdem war eine Menge der Briefe vorhanden, die meine Großmutter, 18 jährig, ihrem Bräutigam, meinem Großvater sandte und auch etliche, die der Großvater schrieb. Die Briefe zeigen für ein 18jähriges Mädchen eine große Reife, dass ich darüber staunen musste, sind im Stil und auch in der Erzählung gut. In einem Brief ist die Rede von den Aufständen 1848 bei dem ein Verwandter tot gesagt wurde. Leider habe ich diese Briefe nur flüchtig angesehen und zum Teil nur gelesen, da ich bestimmt annahm, die Tante Cornelia würde sie mir auf gewisse Zeit zur Verfügung stellen.
Hätte ich geahnt, dass sie diese Belege der Familiengeschichte, stillschweigend wieder an die Seite gelegt hätte, hätte ich mir wenigstens einige Auszüge gemacht. So muss ich mich mit diesen knappen ungenauen Angaben begnügen und gegebenenfalls später nachtragen, wenn ich nochmals Gelegenheit zur Einsicht bekommen sollte.
Tante Cornelia erzählt übrigens, dass die Großmutter, als sie älter war, diese Briefe immer gesucht habe, um sie zu verbrennen.
Verfasst von Heribert Hillenkamp 1933